Warum Güte besser ist als Gewalt – eine Geschichte aus der Schule

Viele junge Menschen kennen es zum Glück nur noch aus Anekdoten älterer Verwandtschaft: „Als ich in deinem Alter war und mich nicht benommen habe, gab es vom Lehrer den Rohrstock.“ Doch was heute schockierend klingt, war bis zum Jahr 1969 eine gängige pädagogische Maßnahme.

Auch danach und trotz des Verbots der „körperlichen Züchtigung“ war Gewalt noch lange nicht aus dem Schulalltag und dem Leben der Kinder verschwunden. Erst im Jahr 2000 wurde das Schlagen von Kindern per Gesetz vollständig untersagt. Seither vollzieht sich ein grundlegender Wandel: Statt auf Strafen setzen Schulen zunehmend auf Zuwendung und respektvolle Kommunikation – mit messbar besseren Ergebnissen. Denn gerade in der Kindheit werden entscheidende Verhaltensmuster geprägt, die ein Leben lang nachwirken können.

Startpunkt: Gesetz zur Ächtung von Gewalt in der Erziehung

Mit der Verankerung des Gesetzes zur „Ächtung von Gewalt in der Erziehung“ im § 1631 Abs. 2 BGB im Jahr 2000 sollte ein neues „Leitbild zur Erziehung“ geschaffen werden. Im wissenschaftlichen Diskurs gab es schon lange die Forderung, doch den entscheidenden Impuls lieferte das schwedische Verbot von Körperstrafen im Jahr 1979. Als erstes Land der Welt verabschiedete Schweden ein entsprechendes Gesetz. Und es wirkte: Als Deutschland gerade mit der Implementierung begann, hatte Schweden bereits erreicht, dass die Gewaltquote nur noch bei 1 Prozent lag.

Auch die deutsche Bundesregierung strebte eine Veränderung an – mit dem Ziel, „die Anwendung von Gewalt als Erziehungsmittel zurückzudrängen, ohne die Eltern zu kriminalisieren“. Begleitet wurde die Gesetzesänderung durch die Kampagne „Mehr Respekt vor Kindern“, die zwischen 2000 und 2002 mit Informationsveranstaltungen und Workshops bundesweit Aufklärungsarbeit leistete. Laut einer Broschüre des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend aus dem Jahr 2003 kannten bereits ein Jahr nach Inkrafttreten 30 Prozent der Eltern und Kinder das neue Gesetz.

Gewalt hat viele Gesichter – und wirkt lange nach

Gewalt beschränkt sich nicht auf körperliche Übergriffe. Neben Schlägen oder dem berüchtigten Rohrstock gehören auch verbale Angriffe, emotionale Erpressung oder Ausgrenzung dazu. Diese Formen psychischer Gewalt werden oft übersehen – ihre Wirkung jedoch kann bis ins Erwachsenenalter nachhallen. Die Folgen sind weitreichend. Der Kinderschutz Schweiz nennt neben körperlichen Verletzungen auch Entwicklungsstörungen, Lernprobleme, Ängste, depressive Symptome, ein geringes Selbstwertgefühl sowie ein erhöhtes Risiko für Suchtverhalten oder Straffälligkeit.

Eine gemeinsame Studie von UNICEF Deutschland, dem Deutschen Kinderschutzbund und der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie in Ulm aus dem Jahr 2020 belegt: Gewalt in der Kindheit hat langanhaltende Auswirkungen. Obwohl Gewalt in der Erziehung zunehmend abgelehnt wird, zeigt die Studie, dass gerade ältere Menschen und solche mit eigenen Gewalterfahrungen körperliche Bestrafung nach wie vor häufiger befürworten. So ist bei Befragten, die selbst Gewalt erlebt haben, die Zustimmung zur Aussage „Ein Klaps auf den Hintern hat noch keinem Kind geschadet“ fast 16-mal höher als bei denen ohne solche Erfahrungen. Nur ein Drittel der über 60-Jährigen lehnt einen Klaps auf den Hintern ab.

All dies zeigt, wie wichtig kontinuierliche Aufklärung über die Folgen von Gewalt bleibt.  

Güte statt Gewalt: der Schlüssel zum Erfolg

Trotz wiederkehrender Debatten über Disziplinprobleme oder Respektlosigkeit an Schulen zeigen aktuelle Daten eine positive Entwicklung. Eine Studie des Pädagogischen Instituts der Universität Kiel zeigt, dass körperliche Gewalt an Schulen zwischen 1996 und 2014 deutlich zurückgegangen ist – sowohl unter Schüler:innen als auch gegenüber Lehrkräften. Demnach lag der Anteil der Opfer, die in den letzten zwölf Monaten geschlagen wurden, um 2,3 Prozentpunkte niedriger als noch 1996.

Das spiegelt sich auch in den Erfahrungen von Täter:innen wider – es wurde beispielsweise deutlich seltener berichtet, dass andere mit Gegenständen beworfen wurden. Gewalt gegen Lehrkräfte – etwa durch Drohungen, Sachbeschädigungen oder körperliche Angriffe – ging ebenfalls spürbar zurück.

Der neue Schulalltag: Respekt, Individualisierung, Dialog

Dieser Wandel könnte durch einen positiven Kreislauf, einen Feedbackloop, erklärt werden: Lehrkräfte verzichten zunehmend auf Gewalt und wenden stattdessen sanftere Methoden zur Erziehung an.

Anstelle von Angst stehen heute Individualisierung und ein respektvoller Umgang im Mittelpunkt schulischer Erziehung. Unterricht wird zunehmend auf die unterschiedlichen Bedürfnisse der Schülerinnen und Schüler abgestimmt, um Über- und Unterforderung zu vermeiden. Gewalt ist keine Option mehr. Bei Disziplinarmaßnahmen setzen Schulen stattdessen auf Gespräche, Klassenbucheinträge oder – in schwerwiegenden Fällen – auf Schulverweise. Außerdem fungieren schulsozialpädagogische Fachkräfte als wichtige Ansprechpartner:innen, und im engen Austausch mit den Eltern werden individuelle Lösungen gesucht.

Die Forschung ist eindeutig: Gewaltfreie Erziehung ist effektiver – und sie wirkt langfristig. Kinder, die ohne Gewalt aufwachsen, zu Hause und in der Schule, greifen später selbst seltener auf Gewalt zurück. Der positive Effekt zieht sich bis ins Erwachsenenleben und kann unsere Gesellschaft nachhaltig prägen. Doch damit das gelingt, müssen Missstände erkannt und thematisiert werden. Gesetze wie das zur Ächtung von Gewalt in der Erziehung und begleitende Aufklärungskampagnen sind wichtige Schritte auf dem Weg zu einer friedlicheren Gesellschaft – und zu einer Welt mit mehr Güte.

Beitragsbild von Museums Victoria via Unsplash


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