Bei Hummustopia setzen sich Menschen unterschiedlichster Hintergründe an einen Tisch – und sogar Polizist:innen und Mitglieder der linksaktivistischen Szene stellen über einem Teller Hummus oft schnell fest: Am Ende sind wir uns doch alle ähnlicher, als wir denken.
„Wir treffen uns hier zum Austausch. Jede Person setzt sich mit einer anderen Person zusammen, die sie nicht kennt. Ihr bekommt ein Thema und diskutiert, bis ihr mindestens eine Gemeinsamkeit findet. Dazu gibt es leckeres Essen, ganz umsonst. Ihr seid herzlich willkommen!” Avraham Rosenblum steht am Eingang des Café Nova im Hamburger Stadtteil Veddel und erklärt Vorbeigehenden das Konzept der Veranstaltung, die in wenigen Minuten hier beginnt: ein Event seines Projekts „Hummustopia – lecker streiten”.
„HUMMUSTOPIA ist kein einmaliges Event, sondern ein Beispiel dafür, wie nachhaltiger Dialog zwischen Behörden und Bürgerinnen und Bürgern gelingen kann – offen, ehrlich und auf Augenhöhe.”
Vor ungefähr acht Jahren rief Avraham Rosenblum Hummustopia ins Leben, eines von mehreren Projekten mit dem Ziel, Austausch über kulturelle und gesellschaftliche Grenzen hinweg zu fördern. Letztes Jahr gelang ihm dann die Umsetzung eines besonderen Herzensprojekts: eine Zusammenarbeit mit der Polizei Hamburg.
Das Kooperationsprojekt „Zivilgesellschaft und Polizei“ zwischen der Sozialbehörde Hamburg und der Polizei Hamburg, organisiert seit einigen Jahren Veranstaltungen für einen Austausch und ein besseres Verhältnis zwischen Polizei und Bürger:innen. Avraham nahm kurzerhand Kontakt zu den Verantwortlichen auf. Wenig später fand das erste Hummustopia-Event mit Polizeipräsenz statt, bei dem Polizist:innen und Bürger:innen „zum Perspektivwechsel und Mitstreiten über offene Fragen zu Demokratie und Polizeiarbeit” eingeladen wurden.
„HUMMUSTOPIA ist kein einmaliges Event, sondern ein Beispiel dafür, wie nachhaltiger Dialog zwischen Behörden und Bürgerinnen und Bürgern gelingen kann – offen, ehrlich und auf Augenhöhe”, kommentierte die Polizei Hamburg im Anschluss auf ihrem LinkedIn-Kanal. Die nächsten Veranstaltungen sind schon in Absprache.
Was genau passiert, wenn Polizist:innen und Zivilgesellschaft bei einem Teller Hummus aufeinandertreffen, warum kleine Gemeinsamkeiten so wichtig sind und welche Motivation hinter Hummustopia steht – all das haben wir Avraham Rosenblum gefragt.
KräftigeGüteStiftung: Avraham, das ist schon etwas Besonderes: Du stehst hier als Gründer von Hummustopia und lädst die Menschen auf der Straße ein, zu eurer Veranstaltung zu kommen. Machst du das immer so?
Avraham: Ja, das mache ich tatsächlich immer so. So bekommt man ein gemischtes, diverses Publikum. Es sollen sich Menschen gegenübersitzen, die sich sonst nicht austauschen würden. Und die dann feststellen, dass sie eben doch viel mehr gemeinsam haben, als sie denken würden.
Natürlich gibt es auch Personen, die ganz gezielt hierherkommen, die das Projekt schon kennen, aber es gibt eben auch immer viele Leute, die zum ersten Mal oder ganz zufällig da sind. Es ist auch spannend, weil die Veranstaltungen von Hummustopia ja an unterschiedlichen Orten stattfinden. Heute ist zum Beispiel das erste Mal, dass wir hier sind. Da kommen ganz andere Menschen als bei unseren Veranstaltungen in Altona, mitten in der Fußgängerzone. Da ist auch die Stimmung ganz anders, hier ist es ruhiger, dort ist dann immer lautes, buntes Chaos (lacht).
KräftigeGüteStiftung: Im Austausch sollen die Menschen, die einander gegenübersitzen, sich unterhalten, bis sie mindestens eine Gemeinsamkeit entdeckt haben. Welche Art von Gemeinsamkeiten zählt denn?
Avraham: Da bin ich wirklich ganz offen, es gibt wirklich keine Vorgaben. Natürlich geben wir mit unseren Fragen bestimmte Themen vor wie Demokratie oder Solidarität, und meistens finden die Menschen auch Gemeinsamkeiten, wenn sie über diese Fragen sprechen. Aber ich sage allen Leuten: Auch wenn ihr euch zum Thema nicht einigen könnt, ist das völlig okay. Das ist ja auch schon eine Gemeinsamkeit: Ihr könnt euch nicht einigen.
Aber vielleicht finden sie im Gespräch heraus, dass sie zum selben Fitnessstudio gehen und denselben Trainer haben, den sie cool finden. Oder dass sie zum selben Baumarkt gehen und davon angenervt sind. Oder dass sie denselben Lieblingshummusladen haben. Und das reicht mir schon.


KräftigeGüteStiftung: Apropos Hummus, du hast beim Ansprechen der Leute auch hervorgehoben, dass es Essen gibt. Warum ist das so ein zentraler Teil des Konzepts – und warum gerade Hummus?
Avraham: Hummus ist eines dieser Gerichte, um das sich viel gestritten wird: Woher kommt es, wer hat es erfunden, wem gehört der Hummus? Aber gleichzeitig ist es etwas unglaublich Vereinendes. Das fängt schon bei der Konsistenz an. Hummus ist eine Masse, Sachen werden zusammengemischt und dann kommt etwas heraus, was zusammenhält. Ich meine, mit Hummus kann man gefühlt Häuser bauen, es ist praktisch wie Mörtel (lacht).
Und natürlich essen viele Menschen auf der ganzen Welt gerne Hummus. Also symbolisiert Hummus auch genau das, worum es uns geht: trotz der Streitigkeiten, die es gibt, das Gemeinsame zu finden. Hummus ist einfach lecker, und das bringt Menschen zusammen.
Das macht Essen natürlich allgemein. Wir unterhalten uns super oft und gerne über Essen, vor allem aber beim Essen. Am Esstisch entstehen Gespräche. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass es außerdem einen vermittelnden Effekt hat, wenn man Menschen beim Essen zusammenbringt, dass es die Kommunikation im Zweifel konstruktiver macht. Das ist am Familientisch vielleicht anders, aber hier ist es eher so, wie wenn man sich irgendwo zum Essen trifft. Da will man ja eine funktionierende Kommunikation.
Es hat auch einen ganz praktischen Faktor. Wir wollen, dass die Leute zu uns kommen und sich engagieren, dass sie ihre Zeit mitbringen und sich unterhalten. Und wir geben ihnen etwas im Gegenzug. Es geht dann nicht nur darum, Zivilcourage zu zeigen, indem man kommt. Es ist nicht wieder ein Ehrenamt, sondern man bekommt etwas dafür – nämlich leckeres Essen.
„Es ist total in Ordnung, nicht einer Meinung zu sein, es ist auch gut, viele unterschiedliche Meinungen in der Gesellschaft zu haben. Aber es wird problematisch, wenn wir das nicht mehr als etwas Positives sehen, sondern es zu Hass und Hetze führt.”
KräftigeGüteStiftung: Jetzt geht es bei aller Harmoniesuche bei euch auch ums Streiten – wenn auch ums „lecker Streiten”. Streit wird ja häufig als etwas Negatives wahrgenommen …
Avraham: Das stimmt. Aber streiten ist an sich ein neutrales Wort, es muss nichts Schlimmes oder Negatives sein. Heutzutage ist es aber gesellschaftlich total aufgeladen. Wir leben in Zeiten, wo gerade auch viel Konflikt um uns herum ist. Aber auch schon vorher gab es diese Spaltung in der Gesellschaft, die immer größer geworden ist.
Deshalb brauchen wir eine andere Art, zu kommunizieren. Es ist total in Ordnung, nicht einer Meinung zu sein, es ist auch gut, viele unterschiedliche Meinungen in der Gesellschaft zu haben. Aber es wird problematisch, wenn wir das nicht mehr als etwas Positives sehen, sondern es zu Hass und Hetze führt.
KräftigeGüteStiftung: Funktioniert es denn, die Leute auch zum Streiten zu bringen? Bei der heutigen Veranstaltung schienen die Ansichten ja doch sehr ähnlich zu sein. Ist das sonst anders?
Avraham: Tatsächlich kaum, und das ist der Clou an der Sache. Also auch, wenn man Leute von der Straße holt, auch wenn Leute von der Polizei und Zivilgesellschaft oder sogar von der Polizei und der Roten Flora (Anm. d. Red.: Die Rote Flora ist ein Autonomes Zentrum im seit November 1989 besetzten ehemaligen Flora-Theater im Hamburger Stadtteil Sternschanze und Ausgangspunkt überregionaler sozialer, kultureller und politisch motivierter Aktivitäten der Radikalen Linken) zusammenkommen – die lade ich immer ein und ich weiß, dass schon einige von ihnen da waren – da werden auch Gemeinsamkeiten gefunden. Wir sind uns alle ähnlich, das ist Fakt, und das kommt ziemlich schnell raus.
Selten kommt es schon vor, dass Leute sagen: „nein ich will nicht mehr bei dieser Person sitzen“ oder „ich will mich nicht mehr mit dieser Person unterhalten.“ Es kommt auch vor, dass Leute einander verletzen oder rassistisch sind. Aber es kommt sehr selten vor, von 100 Prozent sind es nicht einmal 1 Prozent.
Das liegt auch daran, dass die Fragen zum Philosophieren einladen, und daran, dass es so niedrigschwellig ist. Es geht mir nur darum, eine Gemeinsamkeit zu finden. Es muss nicht schwierig sein. Ich will nur, dass die Leute beim Zuhören das Negative kurz zur Seite legen und aktiv nach dem Positiven suchen. Und das macht etwas, in meiner Erfahrung. Es führt zu diesem absurden Effekt, dass die Leute sagen: Boah langweilig, wir sind uns so schnell einig. Aber eigentlich ist das doch voll geil. Super, oder? Das wollte ich zeigen, dass es so schnell geht.
KräftigeGüteStiftung: Das ist also dein Hauptantrieb?
Avraham: Es ist ein Antrieb. Wir leben in einer Zeit, in der es nicht so häufig vorkommt und wahrgenommen wird, dass Leute einfach miteinander in Begegnung kommen, auch mit Leuten außerhalb ihrer Bubble. Das passiert sowieso zu selten, aber heute verbringen wir noch dazu so viel Zeit online, in unseren Algorithmenwelten, da ist dieser persönliche Austausch umso wichtiger.
„Der erste Schritt ist für mich immer, trotz meines Schmerzes, trotz meiner Wut und Empörung, die Person mir gegenüber als Menschen zu sehen.“
KräftigeGüteStiftung: Du machst selbst auch mit und unterhältst dich. Was waren deine Erfahrungen?
Avraham: Ich werde normalerweise dazu geholt, wenn es einen Konflikt gibt. Ich selbst diskutiere sehr gerne und philosophiere sehr gerne und habe es mir zur Mission gemacht, dass ich immer versuche, eine andere Perspektive an den Tisch zu bringen, zu fragen: „Habt ihr noch daran gedacht?“
Ich habe also oft Konflikte erlebt, aber selbst in den härtesten Konflikten habe ich es geschafft, die Situation aufzulösen. Ich will keinen besonderen Konflikt hervorheben. Es gab welche, die sehr dramatisch waren, wo Leute geweint haben, wo alte Traumata hochgekommen sind, wo Menschen sehr rassistisch oder diskriminierend waren – es waren extreme Situationen dabei.
KräftigeGüteStiftung: Und wie gelingt es, das aufzulösen?
Avraham: Der erste Schritt ist für mich immer, trotz meines Schmerzes, trotz meiner Wut und Empörung, die Person mir gegenüber als Menschen zu sehen. Ich weiß eigentlich, dass die Chance sehr hoch ist, dass diese Person aus Überzeugung redet. Dass sie überzeugt ist, dass sie eine gute oder richtige Haltung vertritt. Dass sie die Welt gerade heilt.
Und das ist für mich ein guter Start. Auf dem Boden kann ich noch gut bauen, auch wenn unsere Meinungen so unterschiedlich sind. In den seltenen Fällen, wo Menschen wirklich nur Spaß aus dem Konflikt ziehen, muss ich erkennen: Es gibt hier keinen Boden, auf dem wir uns unterhalten können. Dann sage ich: „Ich wünsche Ihnen alles Gute” und gehe.
KräftigeGüteStiftung: Ein Projekt, bei dem man verhärtete Fronten und Konflikte erwarten könnte, ist das Event von Hummustopia in Kooperation mit der Polizei. Wie kam es dazu?
Es war immer mein Traum, einen solchen Austausch zu schaffen. Polizisten und Polizistinnen mit Leuten aus der Zivilgesellschaft, vielleicht sogar Menschen von Gruppen wie der Roten Flora, zusammenzubringen. Ich finde diesen Austausch total wichtig. Darum bin ich mit dem Vorschlag an das Projekt „Zivilgesellschaft und Polizei“ herangetreten und dann haben wir letztes Jahr eine erste Veranstaltung durchgeführt, dieses Jahr dann eine weitere, und ich denke, es wird auch ein drittes Mal stattfinden.
KräftigeGüteStiftung: Sind die Fragen, die dort gestellt werden, anders?
Avraham: Leicht. Ich habe einen allgemeinen Fragenpool, der sich über die Jahre gesammelt hat. Wenn es ein spezifisches Thema ist, dann biete ich auch an, spezifische Fragen zu dem Thema zu machen. Viele Fragen, die es bei Hummustopia gibt, passen auch für solch einen Austausch. Ich wünsche mir auch, dass ein Detektiv mit einem Schwimmer über Protestbewegungen redet oder wie auch immer.
Aber ich habe zusammen mit der Polizei, der Sozialbehörde, Aktion Mensch und Empower (Anm.: einer Beratungsstelle für den Umgang mit rassistischem und diskriminierendem Verhalten) lange an Fragen gearbeitet, und die sind auch sehr kritisch geworden. Wir wollen die Leute ja auch herausfordern. Also haben wir Fragen gestellt zu rassistischen Tendenzen in der Polizei oder Gewalt in der Zivilgesellschaft, zum Rechtsruck oder zu Gewaltmonopolen, wir waren nicht sanft zu ihnen.
KräftigeGüteStiftung: Wie ist das dann abgelaufen?
Avraham: Das war total spannend. Ich wusste das, theoretisch, intellektuell, aber ich wusste nicht, wie doll das ist. Ich als Bürger, als Zivilist, begegne der Polizei ja in der Regel erst, wenn etwas Schlimmes passiert. Und die begegnen mir, der Zivilgesellschaft, auch erst, wenn etwas Schlimmes passiert. Also habe ich eine Anti-Haltung und die haben eine Anti-Haltung. Sie haben Vorurteile wegen der Sachen, die sie tagtäglich erleben, Vorteile wie: Die sind immer besoffen, sie schlagen ihre Partner:innen, sie klauen im Supermarkt. Sie sehen nur das Schlechte an uns. Und wenn man nicht so aktiv darüber nachdenkt, dass es Teil des Jobs ist – ich kann es verstehen, wenn es zu so Fronten kommt.
Es war total spannend zu sehen, wie viel „Angst” die Polizist:innen vor Begegnungen haben. Die sitzen da in ihrer Montur, sie haben sogar manchmal eine Dienstwaffe dabei und trotzdem fürchten sie diesen Moment, wo eine fremde Person kommt und sie gleich kritisiert. Weil sie das erwarten. Und es ist super schön zu sehen, wie sich das abbaut und super spannende Gespräche dabei entstehen.
Das gilt ganz allgemein für alle Veranstaltungen von Hummustopia: Daneben zu stehen und zu sehen, wie Leute nachdenken, wie sie nach oben gucken und sich irgendetwas in ihrer Perspektive ändert, ist das Schönste, was mir passiert.
KräftigeGüteStiftung: Die Reaktionen waren also eher positiv?
Avraham: Absolut, ja. Also von beiden Seiten, sowohl von den Polizist:innen als auch von den anderen Menschen, die da waren. Es war für alle etwas komplett Neues natürlich, und es hat auch etwas Zeit gebraucht, bis sich alle daran gewöhnt haben, aber dann gab es wirklich richtig schöne Situationen des Austauschs.
KräftigeGüteStiftung: Du hast selbst gesagt, das Projekt mit der Polizei war ein Traum von dir. Wie geht es weiter, mit dieser Zusammenarbeit und mit Hummustopia allgemein?
Avraham: Das Pilotprojekt ist von der Sozialbehörde. Ich bin in deren Entscheidungsprozesse natürlich nicht involviert. Ich bin ein Leistungsgeber. Ich kann nur Angebote machen. Gestern (Anm. d. Red.: 15. Juli 2025) hatten wir einen Reflektionstermin mit drei Menschen von der Beschwerdestelle der Polizei und zwei Polizeikommissar:innen, also von der Leitung, und die sind weiterhin gerne dabei. Ob die Sozialbehörde das weiter unterstützt, weiß ich nicht. Das Kooperationsprojekt soll auf jeden Fall ausgebaut werden und auch auf andere Teile Hamburgs ausgeweitet werden.
Ob Hummustopia mitkommt? Das wäre natürlich mein Wunsch, weil es super sinnvoll wäre. Es ist nicht meine Entscheidung, aber ich habe ein gutes Gefühl.
Und natürlich geht es bei uns mit anderen Plänen weiter. Jetzt gerade zum Beispiel ist eine Veranstaltung mit dem FC St. Pauli geplant. Da gibt es gerade einen Konflikt wegen der Vereinshymne, die zunehmend boykottiert wird, weil der Text von einem Menschen stammt, der im 2. Weltkrieg sehr aktiv für das NS-Regime war. Und um die Fronten zu entschärfen, planen wir ein Event mit Hummustopia direkt vor dem Stadion. Es steht also viel an.
Das kann man wohl sagen! Vielen Dank für das Interview und den tollen Abend!
Bilder: Gregor Fischer / Hummustopia