Als Reinhard Wiesemann die Preisverleihung im Erich-Brost-Pavillon auf Zeche Zollverein eröffnet, taucht die untergehende Sonne die Essener Skyline in ein malerisches Abendrot. In 38 Metern Höhe auf dem Dach der ehemaligen Kohlenwäsche des UNESCO-Welterbes bietet sich dem Vorsitzenden der KräftigeGüteStiftung und den knapp 250 geladenen Gästen ein spektakulärer Panoramablick über das Industriedenkmal. Das Naturfarbspiel unterstrich an diesem historischen Tag, genau 100 Jahre nach der gewaltfreien Beendigung der Ruhrbesetzung, die Bedeutsamkeit des untrennbar mit Frieden verknüpften Preises im Jahr 2025.


Die Wirkmacht gütekräftigen Vorgehens
„Ich hätte nie gedacht, dass ich mich einmal für Güte starkmachen müsste“, beginnt Reinhard Wiesemann seine Rede. In Anbetracht grassierender Aggressionen und Machtmissbräuche durch Staaten weltweit, setzt sich die KräftigeGüteStiftung für gewaltfreie Ansätze bei Polizei, Justiz, Politik und Diplomatie ein. „Güte ist ein effektives, nachhaltiges und günstiges Mittel für den Staat.“
Die Verleihung des ersten Gütekraft-Preises ist für den Vorstand der Stiftung daher ein wichtiger Baustein, um Entscheidungsträger des Staates von der Wirkmacht gütekräftigen Vorgehens zu überzeugen und diejenigen zu ehren, die sich darum verdient machen. Zum Rahmenprogramm gehörten unter anderem Reden von Dr. Martin Arnold und Prof. Karsten Rudolph über die Bedeutung gewaltlosen Widerstandes und gütekräftiger Diplomatie in der Menschheitsgeschichte sowie musikalische Beiträge von Vorstandsmitglied Peter Helle mit der Gütekraft-Hymne und dem Chor Living Voices.
Güte beginnt in Familie und Nachbarschaft
Der Veranstaltung ging außerdem ein Familienfest mit Kirmes-Charakter auf Zeche Zollverein voraus, bei dem Eltern und Kinder auf spielerische Weise mit Feuerwehr, Rettungskräften, dem Jugendamt und engagierten sozialen Organisationen wie der AWO, dem Essener Lernzentrum, dem Jugend-Migrationsdienst und dem Zukunft-Bildungswerk in Berührung kamen. „Das Verständnis davon, wie Güte im Alltag wirken kann, muss bereits in der Familie und Nachbarschaft beginnen“, sagte Reinhard Wiesemann.
Als Preisträger des Abends verkörpere der Initiativkreis Religionen in Essen (IRE) diese Grundüberzeugung der Stiftung, indem unterschiedlichste Menschen und Viertel der Stadt zusammengebracht werden, sagte Laudator Thomas Kufen. Der Oberbürgermeister der Stadt Essen zollte insbesondere der Konsensfähigkeit des IRE in politisch turbulenten Zeiten Respekt: „Manchmal sind die Unterschiede groß. Manchmal gibt es Fragen, die einfach nicht beantwortet werden können. Aber IRE weiß das und man muss eben nicht in allen Punkten übereinstimmen, um für Frieden, Respekt und Gerechtigkeit gemeinsam zu handeln.“
„Respekt vor der Wahrheit des jeweils anderen“
Seit 15 Jahren vertritt der IRE mit diesem Ansatz sechs unterschiedliche Religionsgemeinschaften, die nicht das Ziel haben, sich zu einigen, sondern gemeinsam zu handeln. Der Initiativkreis organisiert unter anderem Kulturdialoge, Gedenkveranstaltungen, Bildungsprojekte und interreligiöse Sport- und Musikevents. Insbesondere werden Anregungen für eine friedliche Zukunft der Stadtgesellschaft im Dialog erarbeitet und auch gemeinsame Erklärungen abgegeben.
„Das Gemeinsame in die Mitte zu stellen und das vermeintlich Trennende an den Rand – das ist unser Leitgedanke“
Pfarrer Andreas Volke, der den Gütekraft-Preis mit den Vertretern des Initiativkreises entgegennahm, erklärte das Gelingen dieses Ansatzes mit „Respekt vor der Wahrheit des jeweils anderen“ und einem Verantwortungsgefühl, das die Mitglieder des IRE verspürten. Der Leitgedanke, „das Gemeinsame in die Mitte zu stellen und das vermeintlich Trennende an den Rand“, sei nicht immer einfach, aber lohne jeden Aufwand für eine friedliche, demokratische Gesellschaft.
„Wer nach außen Frieden verkündet, muss auch in seinen inneren Entscheidungen den Weg des Friedens wählen. Wer Respekt einfordert, muss auch selbst respektvoll miteinander umgehen.“
„Alle Religionen, jede gelebte Kultur und jede Stadtgesellschaft haben einen gemeinsamen Auftrag zum Frieden, den es auszugestalten gilt“, sagte Andreas Volke. Die Geschichte des IRE selbst begann in einer Zeit, in der Hass gegen Sikhs und Juden mit teils religiösen Begründungen um sich griff. Darum mahnte der Pfarrer: „Wer nach außen Frieden verkündet, muss auch in seinen inneren Entscheidungen den Weg des Friedens wählen. Wer Respekt einfordert, muss auch selbst respektvoll miteinander umgehen.“
Vielfalt als Bereicherung, Güte als Stärke
Dem Initiativkreis gelinge dies heute unter anderem, indem Vielfalt und Verschiedenheit nicht zum Hindernis, sondern vielmehr zur Bereicherung genutzt würden, sagte Thomas Kufen. Andreas Volke richtete seinerseits Dank zurück an den Laudator. Dass der Oberbürgermeister den IRE im Rathaus empfängt und ernst nimmt, sei nicht selbstverständlich. Doch die enge Zusammenarbeit bekräftige die Lokalpolitik im Umgang mit religiös radikalen oder extremistischen Menschen, die anders als die Mitwirkenden des Initiativkreises nicht von ihren religiösen Dachverbänden entsendet und legitimiert werden.


Nicht zuletzt diese Erfolge auf politischer Ebene waren ein entscheidender Grund für den Vorstand, den IRE mit dem ersten Gütekraft-Preis auszuzeichnen, bekräftigte Reinhard Wiesemann. „Wir sehen einmal mehr: Güte ist kräftig und nicht schwach.“ Mit seinem einzigartigen Modell „gelebter Gütekraft“ könne der Initiativkreis ein Beispiel für weitere Städte und Kommunen in ganz Deutschland sein.
Ein Friedenspreis mit praktischem Anspruch
Genau diese stellt auch die Skulptur des Künstlers Marcus Kiel dar, die die Vertreterinnen des IRE für ihren Einsatz feierlich überreicht bekamen: zwei Parteien, dargestellt als stählerne Klammern auf Grubenholz, die sich gegenüberstehen. Der Abstand zwischen ihnen bietet Platz für gütekräftige Konzepte, wie beide Parteien gewaltfrei aufeinander zugehen können.
Darüber hinaus war der Preis mit Geld verbunden, das der Initiativkreis Religionen Essen nutzen will, um seine Arbeit auszuweiten und mehr Engagierte, insbesondere Frauen, zu gewinnen. Dieser direkte Aufruf fand gleich im Anschluss an die Preisverleihung regen Anklang. Dutzende Menschen blieben noch bis spät in den Abend. Sie lernten sich kennen, tauschten sich über Lösungsansätze für drängende Herausforderungen unserer Zeit aus oder verabredeten sich gleich zu gemeinsamen Aktionen für mehr Gütekraft.
Bilder: KräftigeGüteStiftung